Interview: Studierende der Szenischen Lesung

Was führte euch zu Kleist? Was fasziniert euch am Menschen Kleist?


Sophie: Kleist war ein wissensdurstiger Mensch, der dank dieser Eigenschaft eine interessante Vita aufweisen kann, die nicht, wie damals üblich, gradlinig war, sondern sehr abwechslungsreich und unkonventionell. Vor allem seine Potsdamer Zeit, in der ihn seine Hauptaufgabe, das Militär, langweilte und er freiwillig in die Alte Stadtschule zum Unterricht ging, bietet eben viele Parallelen zum Lebenslauf jedes Schülers des Zweiten Bildungsweges. Wir sind genau wie er damals junge Menschen, die mehr vom Leben erwarten, als sie sich bisher zugetraut haben. Diese Verbindung und die Tatsache, dass es einem Heinrich von Kleist in denselben Gemäuern, in denen ich jetzt lerne, genauso ging, fasziniert und motiviert mich und zeigt mir, dass auch dieser kurvenreiche Weg genauso richtig sein kann und vielleicht sogar spannender ist als jeder andere.


Richard: Was uns zu Kleist führte, ist, denke ich, unbestritten. Die Schule des Zweiten Bildungsweges Heinrich von Kleist in Potsdam ist wohl die am nächsten gelegene Verbindung zu Kleist, die man als Studierender dieser Schule nur eingehen kann. Wo Heinrich von Kleist vor rund 200 Jahren Tag für Tag ein und aus gegangen ist, um privat unterrichtet zu werden, da fühlt man sich nicht als Studierender irgendeiner staatlich anerkannten Schule. Die Person Kleist fasziniert mich insofern immer wieder, weil er ein nicht immer gern gesehener Geist seiner Zeit war, sich jedoch nicht unterkriegen ließ und kein Blatt vor den Mund genommen hat. Das Kleist’sche Leben war trügerisch und geplagt von Unglück über Hoffnungslosigkeit bis hin zur Ausweglosigkeit mit dem folgenschweren Freitod.


Was brachte euch dazu, mit Andreas Lüder das Projekt einer Szenischen Lesung anzugehen?


Hannes: Nun, Andreas Lüder ist ein bekannter Regisseur und stand bereits schon vor unserem Projekt im engen Kontakt mit der Schule. Soviel mir bekannt war, leitete er bereits eine ähnliche Lesung mit Abendschülern unserer Schule, was dem Kleistprojekt natürlich sehr zugute kam.


Richard: Zu Beginn des Projektes war es relativ schwierig zu durchschauen, was Herr Lüder eigentlich von uns Studierenden wollte. Im Verlauf der abendlichen Unterrichtsstunden, die uns freundlicherweise durch die Schulleitung und durch die Fachlehrer zur Verfügung gestellt wurden, konnte man jedoch Stück für Stück nachempfinden, worauf Andreas Lüder hinaus wollte. Zunächst ging es darum, was denn überhaupt zu Kleists Freitod führte und inwieweit andere Charaktere in den letzten Stunden vor dessen Tod Kontakt mit ihm hatten. Nachdem sich ein „Arbeitskern“ von Studierenden gefunden hatte, intensivierte sich die Zusammenarbeit nach und nach, da wir uns überwiegend aufeinander verlassen konnten. Besonders durch die Fachlehrer wurde garantiert, dass wir regelmäßig eine solche szenische Lesung einstudieren konnten. Ohne die regelmäßigen Proben wäre sonst eine solche Veranstaltung undenkbar gewesen. Doch genau diese Flexibilität macht diese Schule eben auch aus.


Mit Herrn Lüder hattet ihr einen professionellen Regisseur an eurer Seite. Wie verlief die Zusammenarbeit?


Richard: Andreas Lüder ist kein Mann der großen Worte, sondern viel eher ein Mann mit einer Vision. Er verfolgte zu jedem unserer Sitzungen ganz konkrete Ziele, die durch Ausprobieren und Flexibilität der Studierenden meiner Meinung nach zum Erfolg führten. Er verstand es geschickt und oft problemlos Korrekturen in den einzelnen szenischen Darstellungen vorzunehmen sowie entscheidende Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, die uns Studierende oft überzeugten.


Die vorgetragenen Briefe sind zum Teil zutiefst persönlich. Wie fühlt man sich in den Charakter Kleist ein?


Richard: Als heute Existierender ist es natürlich äußerst schwierig, sich in den Charakter Kleist zu versetzen. Schließlich ist Heinrich von Kleist nicht irgendwer. Wenn man sich aber mit den Briefen intensiv auseinandersetzt und die Inhalte in entsprechend berauschender Atmosphäre auf sich, als Vortragender, wirken lässt, dann ist es durchaus möglich eine persönliche Darstellung zu bieten, die selbstverständlich zahlreiche Interpretationen zulassen können muss. Dadurch, dass die Briefe allerdings auch so persönlich geschrieben sind, ist es wiederum leichter, sich die Situation Kleists vorstellen zu können.


Sowohl die intensive Beschäftigung mit Kleist als auch das Engagement als künstlerisch-gestalterische Annäherung fordern sicher viel von der eigenen Persönlichkeit. Welche Spuren hat das Projekt bei euch hinterlassen?


Sophie: Neben der Theaterluft, die wir mal schnuppern durften, hat es vor allem sehr viel Freude gemacht.  Jeder von uns hat durch Job, Familie und Schule sehr viel zu tun und dennoch waren alle immer einsatzbereit, obwohl die Proben oft außerhalb der regulären Schulzeit lagen. Die ganze Anstrengung und Anspannung hat uns alle näher gebracht, das ist das, was ich für mich persönlich aus diesem Projekt mitnehmen kann.


Hannes: Das Projekt hat eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig Verständnis in dieser Welt ist. Hör deinem gegenüber genau zu und handle, bevor es zu spät ist. Das ist es, was ich aus diesem Projekt mitnehme.


Richard: Persönlich hat mich Heinrich von Kleist sehr bewegt. Als Studierender der Kleist-Schule Potsdam geht man ohnehin nicht mit dem Abschluss von der Schule ohne etwas über Heinrich von Kleist gehört zu haben. Dennoch ist dieses Projekt ein voller Erfolg für alle Beteiligten gewesen, da so ein Jubiläum nicht alle Tage vorkommt. Es war uns eine große Ehre Kleist in dieser besonderen Form gedenken zu dürfen.


zur Veranstaltung


Wir danken der Landeshauptstadt Potsdam, besonders dem Kulturamt, für die finanzielle Förderung des Kleist-Jahres 2011.


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