Grußwort: Jens Bisky

Der junge Heinrich von Kleist war sich sicher, dass er eines Tages als Schüler sterben würde, aber von den Schulen seiner Zeit hat er nicht sehr viel gehalten. Als er in Potsdam im Kreis seiner Freunde und an der Grande École auf ein Universitätsstudium vorbereitete, sah er rasch ein, dass er seinen eigenen Weg finden musste und ihm herkömmlicher Unterricht nicht viel weiter half. In seinen „Berliner Abendblättern“ hat er pädagogische Allmachtsphantasien verspottet und die Gründung einer „Lasterschule“ vorgeschlagen, an der nach der Lehre vom Gegensatz das Richtige durch Falsches bewirkt werden sollte.


Nun kann man sich kaum einen Dichter vorstellen, der größeres Vergnügen daran hatte, andere zu belehren als Kleist. Was aber missfiel ihm dann an den Schulen? Sie gingen, so lässt er sich verstehen, mit der wertvollsten Ressource fahrlässig um: mit der Eigenständigkeit der Schüler, ihrem Willen, durch Vernunftgebrauch selbständig zu werden.


Gewiss, die Zeiten sind andere als um 1800, aber die Frage, wie man Eigenständigkeit befördert, ohne sie zu ersticken oder zu vernachlässigen, stellt sich heute ebenso wie vor 200 Jahren. Zweimal hatte ich das Glück, an die Potsdamer Kleist-Schule eingeladen zu werden und dort eine Atmosphäre zu erleben, in der es nicht darum ging, so rasch wie möglich Verwertbares für die Prüfung zu notieren oder ein paar Merksätze aufzuschnappen.


Gespürt habe ich ein wirkliches Interesse an Kleist und seiner Zeit, die Neugier, ihn zu verstehen, obwohl er sich selbst für einen „unaussprechlichen Menschen“ hielt. Er wünschte sich, verstanden zu werden und hielt es doch für unmöglich. Dass nun ausgerechnet an einer Potsdamer Schule durch gute Vorbereitung, skeptische Fragen und Begeisterungsfähigkeit das Kleist-Verständnis befördert und gepflegt wird, hätte ihn gewiss begeistert.


Jens Bisky


Jens Bisky, Kulturwissenschaftler, Germanist und Journalist, publizierte 2007 seine viel gerühmte Kleist-Biographie und den Insel-Almanch 2011 zu Heinrich von Kleist.


zur Veranstaltung


Wir danken der Landeshauptstadt Potsdam, besonders dem Kulturamt, für die finanzielle Förderung des Kleist-Jahres 2011.


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